The Business of Brand Management
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Muss Markenführung noch sein?

Auch die Hauptaufgabe des Marketings, die Entwicklung von Marken, steht zunehmend unter dem Einfluss der Digitalisierung. Damit verbunden sind die Fragen, welche Rolle der Markenführung heute zukommt, wo der Markenkern formiert wird – im Unternehmen oder im Netz – und wie Marken auch in digitalen Zeiten unverzichtbar bleiben.

Die zunehmende Digitalisierung verändert Berufe, Branchen und ganze Volkswirtschaften. Digitale Kompetenz zählt heute zu den unabdingbaren Kulturtechniken und ist bestimmender Faktor unternehmerischen Erfolgs (Bergemann 2019, Konrad-Adenauer-Stiftung 2016). Dies gilt für alle Bereiche der Wertschöpfungskette, d.h. Beschaffung, Produktion und Absatz. Der Erfolg neuer Produkte von Anbietern wie Amazon, AirBnB oder auch Uber zeigt die Offenheit der Konsumenten für innovative, technologiegetriebene Produkte bzw. Geschäftsmodelle. Für den geschäftlichen Erfolg ist eine adäquate Präsenz im Internet unabdingbar, veränderte Erwartungen internetaffiner Kundengruppen müssen erfüllt, besser übertroffen werden (Bergemann 2019). Der Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbraucher kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu. Das Marketing als Kernaufgabe der Unternehmensführung muss sich den veränderten Anforderungen somit ganzheitlich stellen (Schmidt & Berg 2018).

Marken als Orientierung

Marken haben von jeher die Aufgabe, Kaufentscheidungen zu erleichtern: durch klare Differenzierung und Vertrauensbildung. Auf fast allen Märkten ist heute die Auswahl an Produkten groß. Viele Konsumgütermärkte haben ihr Reifestadium im Produktlebenszyklus nach Vernon (1966) erreicht, und es kommt aufgrund des zunehmenden Konkurrenzdrucks in dieser Phase regelmäßig zur sofortigen Nachahmung neuer Produktmerkmale durch die Wettbewerber. Insbesondere schnelllebige Konsumgüter, beispielsweise Waschmittel oder Soft Drinks, werden sich dadurch immer ähnlicher, und Produktunterschiede sind für den Verbraucher immer weniger erkennbar. Umso wichtiger ist eine geeignete unternehmensseitige Information über die Leistung eines Produkts bzw. den Nutzen für den Verbraucher.

Vor diesem Hintergrund ist die Digitalisierung der Informations- und Kommunikationsprozesse für die Marke eine große Chance, weil die Kommunikation mit Interessenten und Käufern dadurch leichter geworden ist. Die Besonderheit, Einzigartigkeit und Leistung einer Marke ist mit den Möglichkeiten der Digitalisierung besser zu vermitteln als in der klassischen Welt der standardisierten Massenkommunikation; dies stellt einen Quantensprung in der Entwicklung des Marketings dar.

Sofern eine Marke diese Besonderheiten tatsächlich besitzt. Denn in der inhaltlichen oder emotionalen Austauschbarkeit liegt oft das Kernproblem der Marke – trotz neuer Möglichkeiten wie Search Engine Optimization (SEO), Content-Marketing oder kreativer Apps. Wenn die Marke selbst unklar oder austauschbar ist, ist sie für den Verbraucher nicht attraktiv.

Klassisches Marketing

Nach klassischem Marketingverständnis ist die Hauptaufgabe des Marketings der Aufbau von Marken. Eine Marke stellt dabei die Summe aller Zeichen – meist Name, Logo und Slogan – dar, die ein Produkt von dem des Wettbewerbs unterscheiden. Sie ist Ausdruck des finanziellen und emotionalen Wertes, der durch die vom Unternehmen gesteuerten Markenkampagnen geschaffen wurde. Sie wird zuweilen auch als Summe der Erfahrung betrachtet, die ein Kunde mit einer Marke gemacht hat (Kotler 2017).

Kern einer Marke ist ihre Positionierung. Die Markenpositionierung drückt das Leistungsversprechen einer Marke aus und soll dem Verbraucher ein triftiges Argument für den Kauf eines Produkts geben. Das Leistungsversprechen eines Produkts wird mittels der Marketing-Mix-Faktoren, der vier P’s, Product, Price, Promotion, Place, eingelöst. Das Versprechen kann funktional sein, z.B. „Wäscht am weißesten“, oder emotional, z.B. „Verleiht Flügel“. Starke Marken zeichnen sich durch ein klares und für den Verbraucher relevantes und nachvollziehbares Leistungsversprechen aus, das ein echtes Unterscheidungsmerkmal zum Wettbewerb, d.h. eine Alleinstellung – Unique Selling Proposition (USP) –, darstellt. Durch emotionale Aufladung eines Produkts wird der sog. Mehrwert (Added Value) geschaffen, der als zusätzliches Kaufargument fungiert.

Für Marketing-Verantwortliche heißt das: Eine austauschbare Leistung oder Story wird auch als App oder Facebook-Post nicht besser. Die drei Schlüsselfragen, die sich Marketing-Manager in diesem Kontext täglich stellen müssen, lauten: Was kann nur meine Marke? Was macht meine Marke unverzichtbar? Was macht meine Marke einzigartig?

Verbrauchernetzwerke werden ihnen diese Arbeit nicht abnehmen. Die Verbindung einer Marke mit ihren Followern im Netz ist ein wichtiger Aspekt des Charakters einer Marke (Gutzmer 2018) und heute unverzichtbarer Bestandteil der Markenführung. Zahlreiche Studien zur Markenbildung belegen, dass Marken von Inhalten und Daten abhängen, die von Verbrauchern auf Social-Media- Plattformen generiert werden (Carah und Shaul 2016; Banet-Weiser 2012; Hearn 2008; Zwick et al. 2008). Denn ob und wie ein Markenimage gebildet und kommuniziert wird, entscheiden die Nutzer einer Marke heute mit (Lamberton und Stephen 2016). Die Richtungsbestimmung, d.h. die Führung der Marke, wird allerdings nach wie vor vom Unternehmen ausgehen müssen. Wenngleich die digital errichteten Markennetzwerke kein Anhängsel der Markenführung sind (Gutzmer 2018), ist es falsch zu sagen, dass der Wesenskern einer Marken heute im Netz formiert wird.

Was ist Marketing 4.0?

Der Begriff „Marketing 4.0“ beschreibt die gegenwärtige Phase des Marketings, in der die Chancen und Herausforderungen digitaler Technologien in den Mittelpunkt strategischer und operativer Marketingüberlegungen gestellt werden. Das Konzept der Marktsegmentierung weicht einer zunehmenden Personalisierung, bei der nicht mehr Käufergruppen, sondern Einzelpersonen in den Mittelpunkt der Kommunikation gestellt werden. Gleichzeitig werden Verbraucher durch die Nutzung

digitaler Innovationen nicht mehr nur empfangendes, sondern auch gestaltendes Element der marktbezogenen Unternehmenstätigkeit. Zusätzlich stärken Möglichkeiten zur digitalen Vernetzung mit anderen Verbrauchern ihre Marktposition.

Was sich also rasant verändert hat, ist die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Käufer und Interessenten über Produkte informieren und wie sie mit ihnen kommunizieren. Auch Produktoptimierungen müssen schneller erfolgen, um Kunden zufriedenzustellen. Neu ist zusätzlich die Dynamik der Preisgestaltung, die je nach Zeit, Ort oder Teilnehmern der Kaufsituation anders ausfällt.

Was dabei weiterhin unverzichtbar ist, sind Überlegungen zum Markenkern. Um gekauft zu werden, brauchen Produkte auch in Zeiten von Facebook & Co. ein nachvollziehbares Leistungsversprechen, das die Grundlage kommunikativer Botschaften darstellt.

Die Rolle sozialer Medien

Die zunehmende Beliebtheit sozialer Medien hat bei vielen Unternehmen die Befürchtung ausgelöst, die Kontrolle über den Wertschöpfungsprozess zu verlieren, da in einer digitalisierten Welt Marketing-Manager nicht mehr allein bestimmen können, wie sich eine Marke formiert und weiterentwickelt.

Ein weitreichender Kontrollverlust der Unternehmen ist jedoch bisher nicht erkennbar. So geht die Initiative für unternehmerische Aktivitäten im Rahmen der Produktentwicklung, der Preisgestaltung, der Kommunikation oder der Distribution noch immer zumeist vom Unternehmen aus, auch wenn Kunden stärker an unternehmerischen Entscheidungen beteiligt sind und Kaufentscheidungen von der Meinung ihres digitalen Netzwerks beeinflusst werden.

Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale des digitalen Marketings gegenüber klassischen Marketingansätzen liegen nicht auf markenstrategischer, sondern auf operativer Ebene:

  • Aktivere Teilhabe von Verbrauchern an Unternehmensaktivitäten
  • Höhere Transparenz des Leistungsangebots für die Verbraucher
  • Personengenaue Ansprache von Verbrauchern und anderen Interessensgruppen

Entsprechend ist der langfristig orientierte Aufbau einer Marke auf Basis eines relevanten und glaubhaften Leistungsversprechens wichtiger denn je. Da Produktangebote durch Internetvergleiche für Verbraucher wesentlich transparenter geworden sind, wird es für Marken zunehmend schwieriger, schlecht belegte Leistungsversprechen abzugeben. Auf Markenführung zu verzichten und allein auf die Kraft der Netzwerke zu vertrauen, ist ein Irrweg.

Die Zukunft

Die besondere Herausforderung für das Marketing in Zeiten der Digitalisierung besteht im sinnvollen Ineinandergreifen klassischer und digitaler Methoden, die ihre jeweils eigene Funktion erfüllen. Während auf der marketingstrategischen Ebene noch immer die Überlegungen zum Produktnutzen, d.h. ihrer Positionierung, im Vordergrund stehen müssen, finden digitale Technologien zunehmend auf der operativen Ebene Anwendung, beispielsweise bei der Produkt- und Preisfindung, der Kommunikation und der Distribution.

Großes Änderungspotential im Marketing liegt derzeit im Bereich der Kommunikation.
Das Ausmaß der Änderung ist so groß, dass es oftmals den Blick auf die bewährten Praktiken verstellt, und der Eindruck entsteht, alles im Marketing hätte sich verändert. Dies ist gewiss nicht der Fall. Bei einer stetig steigenden Menge verfügbarer Daten und immer besserer Analysemethoden ist eine zielgenauere Kommunikation mit dem Verbraucher möglich und das Massenmarketing wurde von einer individuellen Verbraucheransprache abgelöst. Die Anforderung, kommunikative Maßnahmen für eine Marke auf einem relevanten Leistungsversprechen aufzubauen, besteht allerdings unverändert – wenn nicht in größerem Maß als je zuvor.

Referenzen

  • Banet-Weiser S (2012) Authentic TM: The politics and ambivalence in a brand culture. New York UniversityPress: New York, NY
  • Bergemann B (2019) Marketing 4.0. In: Erner M (Hrsg.) Management 4.0 – Unternehmensführung im digitalen Zeitalter. Springer-Gabler, Berlin
  • Carah N, Shaul M (2016) Brands and Instagram: Point, tap, swipe, glance. Mobile Media & Communication 4 (1):69 –84
  • Gutzmer A (2018) Marken in der Smart City. Springer Gabler, Wiesbaden
  • Hearn A (2008) Meat, mask, burden: Probing the contours of the branded “self.” Journal of Consumer Culture 8:197–217
  • Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg) (2016) Neue Technologien. Wie Digitalisierung unsere Wirtschaft verändert. www.kas.de/wf/doc/kas_45146-544-1-30.pdf. Zugegriffen: 25. Juli 2017
  • Kotler P, Hermawan K, Setiawan I (2017) Marketing 4.0: Moving from Traditional to Digital. Wiley, Hoboken NJ
  • Lamberton C, Stephen AT (2016) A Thematic Exploration of Digital, Social Media, and Mobile Marketing: Research Evolution from 2000 to 2015 and an Agenda for Future Inquiry. Journal of Marketing: AMA/MSI Special Issue 80:146–171
  • Schmidt J, Berg M (2018) Auswirkungen der Digitalisierung im Marketing – eine Expertenstudie. Praxiswissen Marketing 1/2018: 153 –169. arbeitsgemeinschaft.marketing/wp- content/uploads/AfM_Praxiswissen/01_2018/PWM_01_2018_Studie%20Digitalisierung%20Marketin g.pdf. Zugegriffen: 15. Februar 2019
  • Vernon R (1966) International investment and international trade in the product cycle. Q J Econ 80(2):190–207
  • Zwick D, Bonsu S, Darmody, A. (2008) Putting consumers to work: “Co-creation” and new marketing governmentality. Journal of Consumer Culture, 8 (2):163–197
Ein Beitrag von:
15. März 2019

Über die Autorin:

Prof. Dr. Britta Bergemann, Professur International Marketing and Sales an der Hochschule Heilbronn. Seit 2012 Leiterin des Graduate Institute of Management – Middle East der Steinbeis-Hochschule Berlin. Von 2003–2012 Professur für Marketing und Kommunikation an der Hochschule Furtwangen. Von 1998–2003 Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur Carat (heute Dentsu Aegis Network). Zuvor Prokuristin der Arthur Andersen Managementberatung sowie Marketing-Direktorin der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur Andersen. Vorherige Industrieerfahrung im Marketing von Langnese-Iglo, Unilever, und Kraft Jacobs Suchard (heute Mondelez), zuletzt als Marketing-Direktorin in Chicago, USA. Studium des Übersetzens und Dolmetschens sowie der Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg. 2003 Promotion zum Dr. rer. pol.