The Business of Brand Management
What Matters Most

Man kann nur ernten, was vorher gesät wurde.

Günther Misof

Seit Wochen hält die Welt den Atem an. Und der Fehltritt von Adidas hat deutlich gemacht, wie schnell Unternehmen ihr (Marken-)Porzellan zerdeppern können. Viele Experten sind sich sicher, dass nach der Corona-Krise nichts bleibt wie es einmal war. Andere zeigen hingegen auf, wie schnell Marken (angeblich) wieder zur Tagesordnung übergehen können.

Man kann jetzt Michael Brandtner von Ries Consulting folgen, der darlegt, wie alle groben Fehltritte schnell vergessen werden und Unternehmen insbesondere in Krisen-Zeiten aufgefordert sind, aus allen Rohren zu feuern (HORIZONT, 21.04.20) – und sich zurücklehnen.

Oder man lässt sich – auch, wenn einem davon schlecht werden kann – von den Vorschlägen für das „Marketing in Corona-Zeiten“ beeinflussen. Wie eh und je wird hier auf Krawall gesetzt und es drängt sich die Frage auf, ob man diesen „Experten“ – insbesondere in Ausnahmezeiten – folgen kann oder nicht vielleicht doch weniger Expertise als das eigene Geschäftsinteresse der Motor der unentwegten Empfehlungen ist.

Und natürlich müssen wir uns zusätzlich damit abfinden – ob passend oder nicht – dass jetzt von allen nur erdenklichen Seiten verstärkt „Purpose“, ja sogar „Marketing-Purpose“(?), Haltung und Nachhaltigkeit ins Spiel gebracht werden. Ich bezweifele oftmals, dass hier verstanden wird, um was es überhaupt geht.

Angebrachter scheint es mir vielmehr zu sein, sich von Unternehmer Giorgio Armani inspirieren zu lassen. Er vertritt in einem Interview mit der FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG am 19.04.20 die wohltuende Auffassung, dass man die Zukunft mehr auf den Menschen und weniger auf den bloßen Profit ausrichten sollte. Seiner Meinung nach lehrt die derzeitige Erfahrung etwas sehr Wichtiges: Geld zu sparen, mit wenig besser auszukommen und auf Produkte zu setzen, die es auch wert sind. In puncto Nachhaltigkeit fordert er auf, die Prioritäten zu überprüfen. Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt muss einen zentralen Platz einnehmen, denn schließlich haben wir nur einen Planeten!

Armani empfiehlt der Modewelt sich zu entschleunigen und neu auszurichten. Ein Ratschlag, dem verantwortungsbewusste Unternehmen aller Branchen folgen sollten.

Unangenehme Zeiten erfordern unangenehme Entscheidungen.

Meine Forderungen nach Marken-Verantwortung im Top-Management, nach veränderten Verantwortlichkeiten und Strukturen in der Markenführung, um den Herausforderungen gewachsen zu sein, wurden in der Vergangenheit oft als sperrig und kompliziert abgetan. In Wahrheit hatten die Unternehmen jedoch wenig Lust eingefahrene Unternehmensabläufe in Frage zu stellen. Der Aufwand war ihnen schlicht zu groß, das Geschäft lief ja schließlich sogar ohne Marke.

Aber macht ein „weiter so“ wirklich noch Sinn?

Weiterhin „Hier bin ich, kauf mich“ trommeln? Oder weniger werblich, sondern emotional vor allem Zuverlässigkeit und Authentizität vermittelnd, wie Barbara Evans von Mediaplus in HORIZONT, 27.04.20, empfiehlt? Eine Empfehlung, die wahrlich keine neuen Erkenntnisse bringt. Aber ein Umdenken erfordert die eingefahrenen Wege in Frage zu stellen.

Wie also mit der neuen Situation umgehen? Sofern Sie die Aufforderung zu einer Neuausrichtung aufgreifen oder zumindest überdenken und als Unternehmensführer Ihrer Markenverantwortung gerecht werden wollen, empfehle ich einen Blick auf zwei Beiträge zu den Themen Struktur und Strategie zu werfen:

The Difference between Marketing and Brand Management.

Der Auszug aus dem Update von Hayley Campbell für frontify ist wie alle derartigen Definitionen mehr als banal, macht aber deutlich, wo in vielen Unternehmen das Problem liegt.

„For many, the line between brand management and marketing can be a little fuzzy. After all, both play an integral role in the development of a brand.

But there is a distinct difference between the two. While brand management is responsible for creating the brand itself, marketing handles the individual campaigns that promote the brand and generate engagement.

Your brand is what customers perceive your business to be. It’s the sum total of hundreds of interactions, both digital and human. It’s not your logo. It’s not your color scheme. It’s not your products or services.

Your brand is the overall impression you leave with people, whether they’re your customers or not. It’s how they think about you. It’s how they talk about you. It’s what they associate you with. It’s the feeling they have when they come into contact with your business online, over the phone, or in person.

Brand management is exactly what it sounds like: it’s the ongoing work you do to maintain a consistent brand identity. It ensures that all content, communication, products, events, sub-brands, and stylistic elements are aligned with your desired branding.

Said a different way, brand management functions as the blueprint for building strong brand equity. It provides the departments and teams across your organization with the research, guidelines, and strategies to effectively build rapport with customers. Done properly, it ensures that everything from digital collateral to physical products and human interactions are on-brand.

If brand management is the blueprint (i.e., the guidelines for maintaining your brand and correcting any faux pas), marketing is where that plan is put into action.

Because brand management plays such a critical role in the development and maintenance of a brand, it’s important not to blend it with your marketing work.Rather, allow your brand management work to happen separately. Doing so, will not only enable your marketing team to create more impactful campaigns, but will also allow departments across your organization to innovate and branch into new territory without losing your brand image.”

Start with WHY.

Nach Simon Sinek (“Start With Why: How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action” ist nicht das WAS oder WIE, sondern das WARUM der entscheidende Schlüssel zum Erfolg. Seine Annahme basiert darauf, dass bei der Beeinflussung menschlichen Verhaltens Inspiration gegenüber Manipulation nachhaltig mehr Gewicht hat.

„Sinek says people are inspired by a sense of purpose (or „Why“), and that this should come first when communicating, before „How“ and „What“. Sinek calls this triad the golden circle, a diagram of a bullseye with „Why“ in the innermost circle (representing people’s motives or purposes), surrounded by a ring labeled „How“ (representing people’s processes or methods), enclosed in a ring labeled „What“ (representing results or outcomes). He goes on to speculate about the biological factors behind this structure, such as the limbic system. (Wikipedia)


(Auszüge aus Simon Sinek, „Frag immer erst: Warum“, Redline Verlag:)

Das WARUM entsteht, wenn man zurückblickt.

Das WARUM findet man nicht, wenn man auf das Ziel blickt und eine Strategie entwickelt, wie man dort hingelangen könnte. Es ist nicht das Resultat von Marktforschung, nicht das Resultat von Interviews mit Kunden oder Mitarbeitern. Man findet es, wenn man in die entgegengesetzte Richtung sieht als die, in die man gerade blickt. Das WARUM ist eine Entdeckung, keine Erfindung. Wenn wir wissen WARUM, kommt der Erfolg von selbst.

Manipulation vs. Loyalität.

Sinek´s Meinung nach ist Manipulation in Marketing und Vertrieb weit verbreitet und durchaus auch erfolgreich. Man muss nur wissen, dass Manipulationen lediglich zu Transaktionen, nicht zu Loyalität führen. Loyalität aber ist die Grundlage für nachhaltigen Erfolg. Den meisten Unternehmen geht es aber nur um WAS – nicht um WARUM. Loyalität wird man allerdings mit WAS oder WIE kaum erzielen.

Innovation entsteht, wenn man ans Limit geht.

Steve Jobs entwickelte iPod, iTunes oder das IPhone nicht selbst. Das machten andere im Unternehmen. Jobs gab ihnen einen Filter, einen Kontext, ein höheres Ziel vor, das WARUM, um Innovationen einen Rahmen zu geben. Die Mitarbeiter von APPLE suchen Wege, die den Zweck auf möglichst vielen Gebieten erfüllen. Und es funktioniert.

Inspiration.

Charisma inspiriert. Nach dem Modell des Golden Circles steht an der Unternehmensspitze ein Führer, der das WARUM repräsentiert. Fehlt ein Steve Jobs in Unternehmen, der permanent inspiriert, wird es schwierig mit dem WARUM. Wenn es zusätzlich keine Menschen in Organisationen gibt, die die Vision zum Leben erwecken, die eine Infrastruktur aus Systemen und Prozessen schaffen – das WIE, dann ist die Folge bestenfalls Ineffizienz – im schlechtesten Fall aber das Scheitern.

Die Wirksamkeit seiner Philosophie erklärt Sinek unter anderem am Beispiel von APPLE. Das Unternehmen genießt breite Anerkennung, die Produkte kennt jeder, sie sind technologisch mit anderen vergleichbar. Der langfristige Erfolg ist trotzdem untypisch. Aber über Jahre hinweg eine der innovativsten Firmen der Welt zu sein, einen Kultstatus bei der Anhängerschaft zu erreichen, unterstreicht, dass Menschen nicht kaufen, WAS Unternehmen tun, sondern WARUM sie es tun. Die Fähigkeit, hochgradig innovative Produkte derart beständig zu produzieren und sich die Loyalität ihrer Anhängerschaft zu sichern, hat tiefere Ursachen als die Frage WAS. Das WARUM von APPLE inspiriert.

In der Regel werden konkrete Eigenschaften und Vorteile als Argument dafür eingesetzt, warum die Firma, das Produkt, die Idee besser ist als andere. Firmen verkaufen das, was sie tun. Wir aber kaufen, warum sie es tun. Wenn eine Firma keine klare Antwort auf die Frage WARUM hat, dann ist es unmöglich, etwas anderes wahrzunehmen als das, was die Firma tut. In diesen Fällen sind Manipulationen, die auf bloße Neuerungen (Nicht zu verwechseln mit Innovationen), auf Preisnachlässen, Funktionen, Service oder Qualität setzen, die ausschließliche Quelle zur Differenzierung.

Themen wie Vision, Mission, Positionierung sowie Haltung, Purpose und Nachhaltigkeit stehen nach dem Modell von Sinek in einem völlig anderen Licht. Die Rollen von Markenführung und Brand Management erhalten wieder den Stellenwert, der im ausschließlichen Umsatzgetümmel verloren gegangen zu sein scheint.

Bei einer Neuausrichtung stellt sich die Frage, ob die Aufmerksamkeitsökonomie, die hauptsächlich auf Social Media (meist lächerlich, kindisch), auf Werbung oder „Verkaufsförderung“ (oftmals mit lauten und schrillen Gags), auf Influencer (als angebliche „Markenbotschafter“) nach dem Motto „Hauptsache der Umsatz stimmt“ noch richtig sein kann? Macht es in heutigen Zeiten nicht mehr Sinn, über ernsthafte, seriöse, vertrauensbildende Wege nachzudenken, die langfristig Reputation und Loyalität zum Ziel haben? Inspiration, eine entsprechende Strategie und Organisationsstruktur wären Voraussetzung.

Eine Anmerkung:

Zu meiner großen Freude durfte ich die Markenentwicklung von FALKE ab 1975 über vierzehn Jahre begleiten. Eine ganz besondere Zeit, in der ich wertvollste Erfahrungen machen und unterschiedliche Rollen der Markenführung kennenlernen konnte. Wie die Marke von verschiedenen Menschen gemanagt wurde – einmal mit mehr Marketing als Marke, dann mit mehr Marke ohne Marketing. Insbesondere aber die Rolle des Visionärs Klaus Gerwin, der zusammen mit FRANZ-PETER FALKE und mit dem uneingeschränkten Vertrauen der Unternehmerfamilien der Marke die entscheidende Richtung vorgab. Eine Rolle, die es in der Markenwelt von heute nur noch selten gibt, aber dringender notwendig wäre als jemals zuvor. Warum man nur ernten kann, was vorher gesät wurde, ist mir während dieser Jahre mehr als bewusst geworden.

Ein Beitrag von:
5. Mai 2020

Über den Autor:

Günther Misof ist "Founder" von THE BUSINESS OF BRAND MANAGEMENT. Er verfügt über mehr als vierzig Jahre Erfahrung in Markenführung/Brand Management als Gründer, Geschäftsführender Gesellschafter, Partner und Managing Director von mehreren Beratungsunternehmen in Frankfurt am Main und New York.