The Business of Brand Management
Brand Management Library

Innovation via Brand Management.

Marken und ihr Management stellen sich aktuell anders dar, als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Beide müssen neu gedacht und entsprechend dieser neuen Ausgangslage konzipiert und genutzt werden. Wir denken, das hat vor allem zwei Gründe: Erstens muss sich die Marke aufgrund der veränderten Kommunikationslandschaft – internetbasierte, interaktive und zunehmend individualisierte und mobile Markenkommunikation – umfassend neu orientieren und strategisch wie operativ neu aufstellen. Der zweite Grund liegt, aus Perspektive der Unternehmen betrachtet, in der vollkommen neuen Art und Weise, wie Produkte entwickelt, gefertigt und vermarktet werden. Das gängige Schlagwort in Deutschland hierfür lautet Industrie 4.0. Praktisch verändert sich durch diesen Prozess (der das Adjektiv disruptiv ausnahmsweise einmal verdient) die Organisation und das Geschäftsmodell (und mit ihnen: die Wertschöpfung) praktisch aller Unternehmen – auch in den industriellen Branchen, die in Deutschland traditionell stark sind: Sie stellen sich um oder sterben.

DIE NEUE DIMENSION DER PRODUKTE.

In diesem neuen Kontext verändern sich auch die Rolle und Funktionen von Marke und Marketing. Vielleicht ist es einmal ganz reizvoll, den immer wieder beschworenen Paradigmenwechsel der Marke aus diesem Zusammenhang heraus zu beleuchten. Also nicht nur einfach nach neuen Kommunikationskanälen (why Instagram?) und verändertem Kunden- bzw. Nutzerverhalten (how to organize a customer journey?) zu fragen, sondern den neuen, veränderten Charakter von Produkten aller Art zu begreifen und von hier aus die aktuellen Funktionen und zukünftigen Potentiale der Marke zu bestimmen.

Zugegeben: Das klingt im ersten Moment reichlich abstrakt. Ist es aber nicht. Denn Produkte aller Art (und vor allem die Art ihrer Nutzung) haben sich in der letzten Dekade wesentlich verändert – und verändern sich fortlaufend weiter. Für diese Hypothese (die in Wahrheit schon eine faktenbasierte Beobachtung ist) sprechen der weltweite Siegeszug des Internet und die hier maßgeblichen großen Konzerne und deren Geschäftsmodelle. Die digitale Transformation hat bereits die Sektoren Handel und Medien nachhaltig verändert, und Unternehmen wie Google, Amazon, Apple und Facebook stehen für den höchsten Marktwert und das dynamischste Wachstum im B2C-Konsumentenmarkt. Der Mehrzahl dieser Produkte – Anwendungen, Software, Apps – begegnen die User ausschließlich im Internet, wo sie vielleicht auf einem touchscreen noch tangibel, aber nichtsdestoweniger immateriell verortet sind und, was ihre Qualität, Funktionalität und Nützlichkeit anbelangt, sehr viel anders als klassische Produkte (gutes Material, solide und stabile Konstruktion und daher zuverlässig) beurteilt werden. Schon vor vielen Jahren vertrat der Managementtheoretiker Peter F. Drucker die These, die Kunden würden sich mehr für den Nutzen eines Produktes als für das Produkt selbst interessieren. Auch wenn das damals vielleicht noch nicht zutraf, hatte diese Beobachtung doch prophetische Züge: Für die Apps von heute trifft das allemal zu.

Produkte hatten schon immer eine materielle sowie eine immaterielle und kommunikative Dimension, die früher mithilfe der Marke (z.B. der gesellschaftliche Status eines Markenprodukts) transportiert, kommuniziert und artikuliert wurden. Und heute? In jedem Fall hat sich diese „immaterielle Dimension“ von Produkten infolge der digitalen Transformation ausgeweitet und dank der digitalisierten Kommunikation eine neue Qualität erlangt – welche Rolle die Marke dabei auch immer spielen mag. Ein Beispiel hierfür bietet das „Internet der Dinge“, wo Haushaltseinrichtungen und -geräte (Lampen, Türe, Fenster, Heizungen, Waschmaschinen, Kühlschränke usw.) per App durch den Nutzer programmiert und kontrolliert werden – wobei die dazugehörigen Daten auf den Servern der jeweiligen Lösungsanbieter landen.  

Nun könnte man einwenden: Das mag für den Konsumentenmarkt so sein. Für klassische Investitionsgüter in B2B-Märkten gilt das nicht. Doch das wäre weltfremd. Allein General Electric gibt pro Jahr rund 1 Mrd. US Dollar aus, um die Daten aus den Sensoren von Maschinen und Systemen wie Turbinen, Flugzeugmotoren oder Pipelines zu analysieren und auf dieser Basis optimierte Produkte und neue Anwendersoftware zu entwickeln und zu vermarkten. So, wie Amazon und Google über die permanente Analyse ihrer Datenströme ihre Produkte weiterentwickeln und die Konsumenten einbinden, will auch GE mit seiner cloud-basierten Plattform Predix, die unternehmenseigene Informationen und Kundendaten verbindet und auswertet, seine Produkte verbessern, den Service stärken, die Effizienz erhöhen, die Kosten senken und die Kunden enger an sich binden.  

Durch die digitale Transformation ist die Möglichkeit zu einer kundenorientierten Optimierung und einer nachhaltigen Kundenbindung gewissermaßen in die Produkte selbst eingebaut. Um dieses Potential im Sinne des Unternehmens nutzen zu können, muss es die entsprechenden Strukturen aufbauen und geeignete IT-Kompetenzen (Analytics & Big Data) erwerben. GE hat die Konsequenzen daraus gezogen und damit begonnen, sein Geschäftsmodell neu zu definieren. Mit den Worten des langjährigen GE-CEO Jeff Immelt: “We want to treat analytics like it’s as core to the company over the next 20 years as material science has been over the past 50 years.”  

MARKE UND MARKETING.

Der unaufhaltsam anschwellende Strom der Daten aus den Produkten und ihrer jeweiligen Nutzung heraus und die Möglichkeit der Analyse dieser Daten mithilfe von Big Data-Anwendungen hat das Marketing von Grund auf verändert. Die entscheidenden Informationen müssen nicht mehr extern im Markt (beispielsweise durch Befragungen von Kunden durch hierfür eigens beauftragte Institute) ermittelt und durch die Abteilung – das Silo – Marketing ausgewertet und archiviert werden, sondern sind Bestandteil einer agilen und permanenten Produktentwicklung und Produktoptimierung. Praktisch wird also das alte, im klassischen Organigramm der Unternehmen immer etwas separierte Marketing unter den veränderten technologischen Vorzeichen ein Kernbestandteil bei der Entwicklung und Fertigung der Produkte. Man kann auch sagen: Das Marketing gewinnt an Bedeutung und löst sich gleichzeitig auf, indem es in das Zentrum der Produktentwicklung, des Geschäftsmodells und der Wertschöpfung rückt. Das klingt im ersten Moment paradox, ist aber offensichtlich die Realität. 

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser grundsätzlich neuen Konstellation von Unternehmen und Marketing für die Marke, ihre Kommunikation und ihr Management? Keine Frage: Auch die Marke muss sich von Grund auf neu aufstellen. Das betrifft insbesondere ihre zentrale Funktion: Die Konzeption und Umsetzung einer zielgerichteten Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden. Auch hierbei findet – ähnlich wie im Fall des Marketings – eine Verlagerung von externen Medien (wie das für die klassische Werbung üblich war) in die direkte Nutzung der und die dazugehörige Kommunikation über die (Marken-) Produkte statt. So gesehen, bezieht sich also das „Markenerlebnis“ nicht mehr so sehr auf Phänomene wie das Erscheinungsbild der Marke (Logo und Corporate Design) oder ihre mediale Präsenz (Werbekampagnen), sondern verschmilzt immer stärker mit dem unmittelbaren „Produkterlebnis“ – das allerdings seinerseits, wie wir es täglich erleben, an die Nutzung und Bedienung über interaktive Medien wie Smartphones gebunden ist. Markenkommunikation heißt unter diesen Umständen also im Kern: Den funktionalen und komfortablen Gebrauch von Markenprodukten zu ermöglichen und optimal zu gestalten. 

KONSEQUENZEN FÜR STRATEGIE UND ORGANISATION DER UNTERNEHMEN.

Für die Unternehmen ergeben sich aus dieser neuen Konstellation bezüglich der Marke und ihrer Kommunikation tiefgreifende organisatorische und strategische Konsequenzen. Es ist klar, dass das Brand Management auf die neue, immer stärker produktgetriebene Form der Markenkommunikation eingestellt werden muss. Generell gesehen, geht es also darum, die Veränderungen in der Markenkommunikation – weg von den klassischen Print-, E- und auch Online-Formaten („informative Websites“) hin zu den in den Produkten selbst eingebetteten Kommunikationsoptionen – zu stemmen. Das erfordert die Implementierung und Anwendung veränderter innovative Strukturen, Arbeitsweisen, Kompetenzen, Rollen und Tools. Faktisch müssen also die Marke und ihr Management auf Ansätze und Vorgehensweisen wie ein agiles Projektmanagement, praktiziertes Design Thinking und kleine externe Teams (nach Mustern wie Inkubator oder Accelerator) eingestellt werden. Und sie muss die Werte, für die das Unternehmen steht und denen man als Kunde in seinen Produkten begegnet, auf der Markenseite über Content Management und Issue Management ausgestalten und sichern.

BRAND MANAGEMENT ALS STRATEGISCHE PILOTPROJEKT.

Das längerfristig Spannende daran ist, dass diese Innovationsprozesse nicht nur die Markenkommunikation und das Brand Management betreffen. Wie wir gesehen haben, kann man das Ganze auch aus der Perspektive der Produkte eines Unternehmens bzw. dessen Produktentwicklung sehen. Von daher gewinnt die Idee der „Brand Orientation“ eines Unternehmens – also die alte Forderung aus den 1990er Jahren, die gesamte Unternehmensorganisation um die Marke herum aufzubauen – eine neue Aktualität. Natürlich ist eine solche (aktualisierte) Brand Orientation eines Unternehmens ein organisatorischer (und kultureller) Kraftakt ersten Ranges. Aber: Die fällige und im Endeffekt unabwendbare Neugestaltung des Brand Managements kann für die gesamte Unternehmensorganisation als Vorlage dienen. In der Konsequenz heißt das: Die Neuausrichtung des Brand Managements ist ein Pilot für die Neuorganisation des Unternehmens. Hier können die notwendigen Verfahren, Kompetenzen und Tools entwickelt, getestet und optimiert werden, wie sie für eine Produktentwicklung (und eine entsprechende Unternehmensorganisation) auf Höhe der Zeit benötigt werden. Das neu aufgestellte Brand Management kann also als Katalysator einer innovativen Unternehmensorganisation gesehen werden: Ein Pilotprojekt, über das die Unternehmensleitung neue und zukunftsweisende Initiativen in die Wege leiten kann, mithilfe derer das Unternehmen für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters fit gemacht wir

Ein Beitrag von:
17. November 2017

Michael Schwarz studierte Sozialwissenschaften in Frankfurt und Freiburg, promovierte bei Iring Fetscher und arbeitete neben dem Studium in der Werbung. Gemeinsam mit Günther Misof führte er über fünfzehn Jahre Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt integraler Markenstrategien in Frankfurt und New York. Danach wurde er als freier Brand Consultant tätig. Er war an der Entwicklung von Markenstrategien und Kommunikationskonzepten für zahlreiche Auftraggeber beteiligt – hierzu zählen Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen sowie Organisationen in Deutschland und der Schweiz.